Brustkrebs – Meine Geschichte Teil 7

Mein letzter Satz in Teil 6 meiner Geschichte war, dass ich nach der OP akzeptieren muss, nur noch eine Brust zu haben. Das ist zwar richtig, aber, das heißt ja nicht, dass es so bleiben muss. Zu diesem Zeitpunkt ist für mich klar, dass ich einen Brustaufbau mit Silikon machen lassen werde. Dadurch, dass mir aber auch noch Bestrahlungen bevor stehen, kann das nicht sofort passieren. Dazu werde ich noch einmal einen extra Beitrag schreiben, über Möglichkeiten des Brustaufbaus, dem für und wider und vor allen Dingen dem hin und her meiner Entscheidungen.

Aufwachen, alles vorbei und nun

Meine Augenlider sind schwer. Immer wieder döse ich weg. Im Hintergrund höre ich leise Stimmen und es piept immerzu. Bis ich realisiere, dass es die Geräte im Aufwachraum sind. Es ist also alles vorüber. Alles gelaufen. Der Krebs ist raus. Eine Stimme fragt mich, ob alles in Ordnung ist. Mein Kopf bewegt sich etwas unkontrolliert. Die Schwester fasst das wohl als Zustimmung auf. Sie drückt leicht meinen Arm und geht wieder. Die Stimmen im Raum werden immer klarer. Ich sehe langsam auch wieder klarer. Ich komme so nach und nach wieder im hier und jetzt an. Das Blutdruckmessgerät pumpt, die Manschette schließt sich fest um meinen Arm. Ich fasse vorsichtig auf meine Brust. Rechts. Links. Es ist nichts zu spüren. Mein Brustkorb ist fest umwickelt. Dadurch ist kein Unterschied zu ertasten. Eine Schwester kommt und befreit mich von dem Blutdruckmessgerät. Sie erklärt mir, dass die OP gut verlaufen ist. Gut, nun ja, was man so gut nennen kann. Aber ich wollte es so.

Wieder auf dem Zimmer, werde ich von einer Schwesternschülerin versorgt. Blutdruck und Puls messen und sie schaut nach ob das „Gewickele“ um meiner Brust noch sitzt und sich nicht gelockert hat. Die Drainage-Beutel baumeln neben meinem Bett. Danach bringt sie mir noch mein Mittagsessen, was extra aufgehoben und in einer Mikrowelle noch einmal heißgemacht wurde. Appetit habe ich noch nicht und mit meinem kaputten Lendenwirbel im Bett sitzen, das ist kein Zuckerschlecken.

Ich döse immer wieder weg. Will nicht denken und will nicht reden. Das kommt alles noch früh genug. So geht der erste Nachmittag im Krankenhaus vorbei. Wie heißt der erste Satz, den man nach einer OP auf dem Zimmer hört: „Das erste Mal nicht alleine aufstehen.“ Ja, ich weiß. Das ist nicht mein erster Krankenhausaufenthalt aber mit meinem kaputten Wirbel bin ich froh, wenn ich mich nicht anrühren muss. Eine Schwester begleitet mich ins Bad und lässt mich dann alleine. Ich stehe vor dem Spiegel und hebe das Krankenhaushemd an. Es ist nichts zu sehen. Der feste Verband um meine Brust macht mich rechts genauso platt wie links. Den linken Arm zu bewegen macht mir Probleme. Ein wenig mulmig ist mir ja schon vor dem ersten Mal, wenn der Verband abgenommen wird. Zurück ins Bett gehe ich dann alleine.

Am Tag zwei, es ist Donnerstag, nach meiner OP muss ich noch einmal zum Röntgen der Wirbelsäule. Die Ärzte in der Unfallchirurgie wollen neue Bilder. Auf meine Brust konnte ich immer noch keinen Blick werfen. Die Oberärztin, die jeden Tag zur Visite kommt, hebt immer nur den elastischen Verband an und schaut drunter. Es ist die Rede davon, dass ich Freitag oder Samstag entlassen werden kann.

Im Laufe des morgens kommt eine Psychologin und bietet psycho-onkologische Betreuung an. Auf meinem Behandlungsplan, den die Tumorkonferenz besprochen hat, war auch vermerkt, dass dies angeraten wird. Ich habe zu Anfang überlegt und gedacht, ja, wenn es so sein sollte, dann machst du das. Auch in meiner onkologischen Praxis hatte man mir das Angebot gemacht. Aber ehrlich gesagt… bis jetzt fand ich das noch nicht für nötig. Ich habe mich schon das ein oder andere Mal gefragt, wie das kommt, dass ich so abgeklärt bin. Viele Frauen denken und fühlen da vielleicht anders. Ein kurzes Gespräch mit der Psychologin und beim Verabschieden lässt sie mir ihre Karte da. Ich kann sie jederzeit anrufen, auch wenn ich schon entlassen bin.

Eine halbe Stunde später kommt eine Physiotherapeutin. Sie erklärt, worauf ich in nächster Zeit achten muss. In der linken Axel wurden mir 8 Lymphknoten entfernt. Darum kann ich meinen Arm nur bis auf Schulterhöhe heben. Sie zeigt mir eine Übung, die ich in nächster Zeit immer tagtäglich machen soll, damit der Arm wieder beweglicher wird.

Gegen Mittag kommt die Mitarbeiterin eines Sanitätshauses. Es geht um den Erstversorgungs-BH und die Brustprothese. Sie nimmt Maß, sagt mir aber, dass sie es nicht schafft, diese Woche noch zu kommen. Es ist Donnerstag vor Ostern und durch die Feiertage fehlen zwei Arbeitstage.

Bauch, Herz und Kopf

Freitag bei der Visite zerschlägt sich der Wunsch nach Hause zu kommen. Es ist immer noch zu viel in dem einen Drainage-Beutel. Vielleicht morgen, am Samstag. Der andere wird im Laufe des morgens entfernt und… es wird der Verband gewechselt. Ich werde also zum ersten Mal meine linke Brust ohne meine Brust sehen. Eine Schwester und eine Schwesternschülerin kommen mit ihrem Verbandswagen und fangen an, mich aus dem Verband zu wickeln. Ich schaue an mir herunter und sehe eine lange Narbe vom Brustbein bis unter die Axel. Mein Blick geht nach rechts zu meiner Brust und wandert dann nach links zu der Narbe. Ich kann das Gefühl nicht in Worte fassen, was mir durch den Bauch, das Herz und den Kopf geht. Es ist etwas anderes, es zu wissen, dass es passieren wird oder es später dann wirklich zu sehen. Viel Zeit bleibt mir nicht, dann wird schon wieder alles verbunden.

Eine Nachricht, die ich nicht hören möchte

Kurz vor dem Mittagessen kommt noch der Arzt, den ich schon aus dem Brustzentrum kenne. Er macht es sich auf einem Stuhl im Zimmer bequem und sagt mir, dass die Ärzte im Unfallkrankenhaus aufgrund der neuen Röntgenbilder von meiner Wirbelsäule doch liebe operieren wollen. Puh, einmal tief durchatmen. Auch das noch. So etwas wollte ich eigentlich gar nicht hören. Mir fehlen dazu ganz kurz die Worte. Auf meine Fragen dann warum, weshalb, wieso, erklärt er die Situation so gut er kann. Er ist Gynäkologe und kein Wirbelsäulenspezialist. Der Tag der Operation steht auch schon fest. Jetzt kommt es nur darauf an, ob ich will und ob die Ärzte hier der Auffassung sind, dass ich in einer guten körperlichen Verfassung bin um eine weitere OP mit Vollnarkose durchzustehen. Ich stimme der OP zu in der Hoffnung, dass der Heilungsprozess schneller geht als auf konventionelle Weise.

Gedankenschnipsel

Meiner Bettnachbarin geht es so gut, dass sie die meiste Zeit mit einer anderen Patientin unterwegs ist. Es ist ruhig im Zimmer und ich habe viel Zeit nachzudenken. Eigentlich denke ich keinen Gedanken zu Ende. Da flirren immer nur Schnipsel durch meinen Kopf wie, keine Brust mehr. Soll ich vielleicht doch eine onkologische Beratung in Anspruch nehmen. Erstversorgungs-BH, wie wird das aussehen. Noch eine OP. Komme ich jemals wieder richtig auf die Beine. Ich bin jedes Mal froh, wenn ich durch irgendetwas abgelenkt werde. Ob es eine Schwester ist oder meine Mitpatientin kommt zurück oder das Handy , dass mir sagt, dass da einer was von mir will. Alles ist besser, als diese Ruhe zum Nachdenken. Meinem Mann erkläre ich abends am Telefon die neue Situation mit der Wirbelsäulen-OP.

Auch am nächsten Tag werde ich noch nicht entlassen. Am darauffolgenden Tag, es ist Ostersonntag, ist das Ergebnis zwar immer noch nicht so, wie es eigentlich sein sollte, aber meiner Entlassung an Ostermontag steht nichts im Wege. Wenn man bedenkt, dass ich dann 7 Tage im Krankenhaus war. Normalerweise sind es, wenn alles gut geht, 4 Tage.  In meinem Fall hat das aber nichts mit brusterhaltender und nicht brusterhaltender OP zu tun, sondern einfach mit meiner Wundheilung. Mir wird von vornherein gesagt, dass ich bestimmt noch ein- oder zweimal zum Punktieren kommen muss. Aber das ist das kleinere Übel.

Es geht nach Hause

Ostermontag wird nach dem Frühstück die letzte Drainage gezogen und dann packe ich langsam meine Sachen. Wirklich ganz langsam. Hier im Krankenhaus bin ich gut mit Schmerzmittel für meinen kaputten Wirbel versorgt worden. Ich habe aber immer Angst, dass ich eine falsche Bewegung mache. Nicht das noch ein Nerv und das Rückenmark verletzt wird und das war´s dann. Mit dem Entlassungsbrief in der Tasche kann ich dann gehen. Da in der Corona-Zeit kein Angehöriger auf das Krankenhausgelände darf, versuche ich mit meinem Trolly, einem Handgepäckstück und meiner Handtasche irgendwie von Station zu kommen. Schließlich bin ich ja auch alleine hierher gekommen. Mein Mann wartet an der Schranke zum Parkplatz auf mich. Dass das alles problemlos vonstattengeht, das wäre auch zu schön gewesen. Mitten auf dem Stationsflur rutscht mir mein Handgepäckstück, welches ich mit den Tragegriffen am Trolly „festgewurschtelt“ habe, runter und alles fällt raus. Mich selbst zu bücken und die Teile wieder einzupacken – undenkbar. Einerseits könnte ich heulen andererseits packt mich die Wut. Und wie das immer so ist, in dem Moment ist natürlich niemand in der Nähe, der mir helfen kann. Das Schwesternzimmer ist leer, aber ich höre Stimmen aus dem Aufenthaltsraum. Ich bitte eine Schwester, ob sie mir helfen kann und was soll ich sagen, sie räumt nicht nur meine Tasche wieder ein, sie nimmt auch meinen Trolly und die Tasche und begleitet mich sogar runter. Ich dachte erst, nur bis zur Eingangstür. Aber nein, sie bringt mich bis zur Schranke, wo mein Mann auf mich wartet. DANKE.

Ich weiß nicht, worüber ich mir gerade mehr Sorgen mache, über meine Krebserkrankung oder meinen Lendenwirbelbruch.

Pass gut auf dich auf

Gudrun

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4 Antworten

  1. Liebe Gudrun es ist einfach unglaublich was Du durchmachst. Nimm die Psychologin in Anspruch. Eine Freundin von mir macht auch psychisch onkologische Beratung. Oft sträuben sich die Patienten und merken dann erst wie gut es tut über alles zu reden. Auch wenn man Freunde hat oder einen Partner, die sind auch belastet und können schwer mit der Situation umgehen. Probiere es aus. Passiert ja nix. Wenn ich Deine Geschichte lese denke ich was hält der Mensch alles aus – und doch ist es irgendwann vorbei und man ist wieder fröhlich und fit. Das wünsche ich Dir auch. Liebe Grüße Gabi

    1. Liebe Gabi,
      danke für deine Zeilen. Ich sträube mich nicht gegen eine psycho-onkologische Betreuung. Ich habe mir überlegt, dass ich ein erstes Gespräch in der Anschlussheilbehandlung suchen werde. Der Antrag ist schon ausgefüllt.
      Freue mich immer, von dir zu hören.
      Liebe Grüße
      Gudrun

    1. Ja, man kann sich immer nur alle Informationen und Meinungen einholen und anhören. Entscheiden muss man dann selbst. Das kann einem keiner abnehmen.
      Ich wünsche dir eine schöne Zeit. Wann schreibst du mal wieder was auf deinem Blog? Ich vermisse es etwas.
      Liebe Grüße
      Gudrun

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