Das Leben darf leicht sein

Das Jahr hat schon vier Monate hinter sich, und ich frage mich immer öfter, wo die Zeit bleibt. Je älter ich werde, desto lieber würde ich sie anhalten oder festhalten. Sie vergeht mir zu schnell. Aber etwas festhalten ist nie gut.

Manchmal hält man etwas fest, das längst gehen will. Gedanken, Menschen, Erwartungen. Ein „So sollte es sein“ oder ein „Das muss ich noch schaffen“. Da kann ich ein Lied von singen. „Das muss ich noch schaffen“, das ist so ein Satz, der hat mich Jahrzehnte getrieben. Alles wollte ich schaffen. Als der totale Zusammenbruch kam, da konnte es niemand in meinem Umfeld fassen und mein Bruder sagte: „Ich habe immer gedacht, meine große Schwester schafft alles.“ Ja, das dachte ich auch und habe mir und allen anderen etwas vorgemacht. Heute sage ich mir: Gar nichts muss ich.

Genauso ist es mit Dingen, die wir mitschleppen – wie einen alten, viel zu schweren Rucksack, vollgestopft  bis oben hin und die wir nicht mehr brauchen. Vielleicht nie gebraucht haben.

Ich ertappe mich immer öfter dabei, dass ich darüber nachdenke, was ich in den letzten Jahren losgelassen habe und ob da noch mehr geht. Natürlich habe ich irgendwann meine Kinder loslassen müssen ins Leben. Sie sind prima Erwachsene geworden, auf die ich sehr stolz bin. Ich habe eine Schulfreundin nach vielen Jahren losgelassen, da ich gemerkt habe, dass unsere Gemeinsamkeiten sich weit voneinander entfernt haben. Unser Austausch hat mir nicht mehr gutgetan, sondern hat mich angestrengt. Und ich habe nach dem Berufsleben meine Arbeit losgelassen, die ich über vierzig Jahre ausgeübt und sehr gern gemacht habe. Mein Leben hat eine andere Richtung genommen. Das sind nur drei Beispiele aus siebzig Jahre Leben.

Platz schaffen

Es klingt so einfach. Aber in Wahrheit bedeutet es: Kontrolle aufgeben, Vertrauen, dass das Leben auch ohne dieses eine Ding – diese Person, diesen Plan, diese Vorstellung – weitergeht. Und vielleicht sogar besser.

Seinlassen ist auch eine Form von Stärke. Nicht, weil wir aufgeben, sondern weil wir anerkennen, dass etwas nicht (mehr) zu uns gehört, dass wir nicht alles festhalten müssen. Dass es okay ist, Platz zu schaffen.

Genau. Platz schaffen. Platz im Kopf oder auch in unserem Herzen. Und weißt du, was dann passiert? Etwas löst sich. Im Innern wird es leichter. Klarer. Luftiger. Als hätte jemand ein Fenster geöffnet.

Sicher hast du es auch schon gespürt. Wenn du dich aufgerafft und zum Beispiel den Kleiderschrank „ausgemistet“ hast. Oder irgendwelche Schubladen. Durfte dann vielleicht die Tortenplatte von Tante Clara gehen? Denn die Lieblingstante lebt im Herzen weiter und nicht in einer Tortenplatte, die hinten im Schrank steht und nie benutzt wird, weil sie nicht zum restlichen Geschirr passt. Ein ganz banaler Vorgang, der soviel bewirken kann.

Ich habe mich vor einigen Jahren von einer alten Standuhr getrennt. Sie stand bei meinen Großeltern im Wohnzimmer. Als Kind habe ich sie geliebt und mein Opa hat für mich immer den Gong angestellt. Dann hallte der Gongschlag von Westminster durchs Haus. Und das hat er nur für mich getan. Als mein Großvater gestorben war und meine Großmutter ins Heim ging, hat sie mir die Standuhr vermacht. Lange hat sie bei uns im Wohnzimmer gestanden und ab und zu habe ich den Gong angestellt. Aber nach vielen Jahren durfte sie dann doch gehen.

Loslassen ist kein großer dramatischer Akt. Es ist ein stilles Nicken. Ein bewusstes Innehalten. Ein „Ich darf das gehen lassen“. Und vielleicht ist es auch ein leises „Danke“ – für das, was war. Und dann: weitergehen. Denn das Leben geht weiter. Immer. Und es trägt dich – mit weniger Ballast vielleicht sogar ein Stück freier.

Und du?

Was darfst du loslassen – heute, morgen oder übermorgen, um ein kleines bisschen leichter zu gehen? Denn …. das Leben darf leicht sein.

Das war der letzte Beitrag vor meinem Urlaub. Ein wenig nachdenklich, hoffentlich nicht zu schwere Kost. Wenn ich mich wieder melde, habe ich schöne Bilder und Urlaubserlebnisse für dich dabei.

Liebe Grüße

Gudrun

 

* * *

Mein Roman „Sommer am Pont du Gard“ führt dich nach Südfrakreich. Einige Orte gibt es tatsächlich, wie zum Beispiel das Restaurant Le Zanelli oder das Geschäft mit den Töpfersachen aus Lussan (heißt, wenn sie wegen Corona zwischenzeitlich nicht schließen mussten) und  Straßen und Plätze sowieso.

 

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2 Antworten

  1. Hallo,
    das ist ein sehr wichtig Thema, was auch mit Achtsamkeit zu tun. Loslassen, aushalten, aussortieren. Ist manchmal gar nicht einfach, aber die Leichtigkeit hinterher tut gut.
    Liebe Grüße!

    1. So ist es, Jenny. Das aufraffen ist manchmal mühsam und schwer, aber hinterher ist vieles leichter.
      Ein schönes Wochenende.

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