Sommer am Pont-du-Gard – Kapitel 6

Fast eine Woche war sie jetzt schon in Frankreich. Christina hatte gar kein Zeitgefühl mehr und meinte, es wäre schon eine Ewigkeit. Das lag sicher auch daran, dass es ihr so gut wie lange nicht ging. Sie fühlte sich leicht und frei. Frankfurt war so weit weg. Nicht nur was die Kilometer anging, sondern auch in ihr. Sie liebte es, morgens auf der Terrasse zu frühstücken und die ersten Sonnenstrahlen zu genießen.

Gestern hatte sie einen Ausflug nach Lussan gemacht. Ein kleiner Ort auf einer Anhöhe oberhalb des Flusses Aiguillon. Sie hatte sich die Burg angeschaut und war durch die Gassen geschlendert. Man hatte von hier oben einen fantastischen Blick auf die Cevennen. Die alten Häuser, überwuchert mit wildem Wein oder Kletterrosen, hatten es ihr angetan. Auf dem Place Jules Ferry hatte sie sich in ein Bistro gesetzt und einen Kaffee bestellt. Der Platz unter der alten Platane spendete etwas Schatten. Nur einzelne Sonnenstrahlen bahnten sich den Weg durch die Blätterkrone. Die Gäste an den Nebentischen, die verschiedenen Sprachen, machten das ganze drum herum umso bunter. Die ersten Touristen, im Juli und August würde es noch voller werden. Hier, in diesem kleinen Ort ein eigenes Häuschen haben mit blauen Fensterklappen, die im Sommer die Hitze abhielten und roten Kletterrosen an der Eingangstür, das wäre ein Traum. Aber eben doch nur ein Traum.

***

André hatte morgens Maeli zur Schule gebracht. Flore war schon früh zu ihren Eltern in die Camargue gefahren und so schlief die Kleine bei ihm. Ihre Mutter war letzte Woche unglücklich gestürzt und hatte sich den Arm gebrochen. Flore wollte einfach mal nach dem Rechten sehen.


Maeli wusste, wie sie ihren Vater um den Finger wickeln konnte. Immer wieder bettelte sie, um noch 5 Minuten länger liegen bleiben zu können. Und dann auf einmal musste es schnell gehen. Im Bad wurde mit Wasser rumgespritzt, die Zähne nicht so geputzt wie sonst und die Haare hatten auch nicht viel Kontakt mit der Bürste. Gefrühstückt wurde im Stehen. Zweimal vom Croissant abgebissen, ein großer Schluck Kakao und dann mussten beide los. Genau mit dem Klingelzeichen rannte Maeli auf den Schulhof. Ihre Freundinnen warteten schon. Sie schaute sich noch einmal um und winkte André zu. Er schaute seinem kleinen Mädchen hinterher und fragte sich, wo die letzten neun Jahre geblieben waren. Wo war das süße kleine Baby, welches ihn anlachte, wenn er es vorsichtig im Arm hielt. Maeli war schon immer ein fröhliches Kind gewesen. Flore und er waren sich einig, dass ihre Kleine nie unter der Trennung leiden sollte. Noch ein letzter Blick, dann ging er zurück in Richtung Innenstadt. Gabrielle hatte ihm gestern Abend noch eine Liste in die Hand gedrückt. André musste unbedingt einige Besorgungen machen.

***

Heute Morgen hatte sich Christina den Botanischen Garten in Uzès angeschaut. Ein kleiner Kräuter- und Pflanzengarten mitten in der Altstadt, in dem es wunderbar nach Rosmarin, Thymian und vielem mehr duftete. Jetzt wollte sie noch etwas durch die Altstadt bummeln und vielleicht noch irgendwo einen Kaffee trinken. Sie stand vor dem Keramikladen mit den wunderschönen Töpfersachen aus Lussan. Gestern hatte sie es leider verpasst, die Töpferei zu besuchen. Sie drehte sich um und wollte weitergehen, da sah sie Andrè vor seinem Restaurant bedienen. Unbemerkt hatte sie genau die Straße genommen, in der es lag. Christina blieb stehen und beobachtete ihn, wie er sich sicher durch die Außentische bewegte und für jeden Gast ein paar nette Worte hatte. Wenn er lachte, bildete sich eine kleine Falte auf seiner Nase zwischen den Augen. Ob sie vielleicht etwas essen sollte? Aber eigentlich hatte sie gar keinen Hunger. Andererseits hätte sie schon gerne mit ihm gesprochen. In dem Moment drehte Andrè sich um. Er sah sie und hielt in der Bewegung inne. Ihre Augen begegneten sich. Er kam auf sie zu und blieb vor Christina stehen.

„Hallo, schön Sie zu sehen“, sagte er und lächelte sie an.

„Hallo“, Christinas Stimme war etwas wackelig. Warum bin ich eigentlich so aufgeregt, dachte sie. Innerlich schüttelte sie den Kopf.

„Haben Sie sich schon eingelebt bei Danielle und Eric?“, fragte André.

„Aber ja, die Wohnung ist ein Traum. Ich fühle mich sehr wohl dort.“

Im gleichen Moment rief Paul nach André. Er drehte sich um und winkte kurz zurück, als Zeichen, dass er gleich kommen würde.

„Darf ich Sie zu einem Kaffee einladen?“ Christina nickte.

„Kommen Sie. Setzen Sie sich am besten dort hin. Da ist es etwas ruhiger.“ Er zeigte auf einen Tisch an der Hauswand. Paul kam an ihren Tisch. André bat ihn, Christina einen Kaffee zu bringen. Paul nickte ihr lächelnd zu.

„Schön Sie wiederzusehen“, sagte er zu Christina.

„Kommst du klar, Paul?“, fragte er den jungen Mann.

„Wenn was ist, sagst du Bescheid.“ Zu Christina gewandt: „Ich bin gleich bei Ihnen. Nicht weglaufen.“

Dann war er im Restaurant verschwunden. Paul brachte ihr in der Zwischenzeit einen Milchkaffee.
„So, da bin ich wieder“, Paul stellte eine Wasserflasche und ein Glas auf den Tisch und setzte sich zu ihr.

„Wie lange bleiben Sie noch?“, fragte er Christina.

„Gut drei Wochen ungefähr.“

„Hätten Sie mal Lust, eine Wandertour am Gardon zu machen?“ André schaute sie erwartungsvoll an.

„Haben Sie überhaupt Zeit? Sie werden doch mit Sicherheit hier gebraucht.“, erwiderte Christina.

„Ich bin der Chef. Ich habe ein eingespieltes Team.“, André lachte.

„Dann gerne.“ Christina rührte unentwegt in ihrer Kaffeetasse ohne hinzuschauen.

Ihr Blick ruhte auf seinen Händen. Er hatte schöne Hände, kräftig, nicht dick. Irgendwie strahlten sie Vertrauen und Sicherheit aus. Sie trank ihren Kaffee aus.

„Haben Sie vielen Dank für den Kaffee. Ich möchte Sie nicht weiter von der Arbeit abhalten.“, sagte sie lächelnd. André und Christina standen fast gleichzeitig von ihren Stühlen auf.

„Würden Sie heute Abend mit mir essen gehen?“, fragte er schnell. Er wollte sie nicht so einfach gehen lassen. Wer weiß, wann er sie das nächste Mal wiedersehen würde.

Christina hatte das Gefühl, als ob hunderte Schmetterlinge in ihrem Bauch einen Tanz aufführten.„Ja“, brachte sie nur kurz hervor. „Wieder hier?“

„Nein. Kennen Sie schon das ‚Le Zanelli‘? Ich werde Sie abholen. Um 20 Uhr?“

Christina nickte. „Ich freue mich.“

Sie ging durch die Tische hindurch in Richtung Place aux Herbes. Nach ein paar Schritten drehte sie sich noch einmal um. André stand immer noch am selben Platz und schaute ihr hinterher. Sie hob nur ganz leicht die Hand und winkte ihm kurz zu.

 
 

***

Christina schloss die Haustür auf und ließ schon auf dem kleinen Flur die Schuhe von den Füßen rutschen. Sie ließ sich mit einem glückseligen Lächeln und ausgebreiteten Armen auf das Sofa fallen. Mein Gott, was für ein Abend. Sie spürte immer noch Andrés Kuss auf ihren Lippen. Sie dachte an die letzten Stunden zurück.

Pünktlich, wie verabredet, stand er abends vor ihrer Tür. Man gut, dass er nicht wusste, wie lange sie schon fertig war und auf ihn gewartet hatte. Sie gingen zu Fuß zu dem kleinen Restaurant an der Kirche Saint Etienne. Eine Katze saß in einem Hauseingang und schaute ihnen neugierig hinterher.

Das „Le Zanelli“ lag etwas abseits vom Touristenrummel und war trotzdem gut besucht. André hatte reserviert und der Ober brachte sie an einen Tisch am Rand des Platzes mit Blick auf die Kirche. Er zündete eine Kerze an, obwohl die Sonne noch ihre letzten Strahlen zeigte und legte zwei Speisekarten auf den Tisch. Christina und André setzten sich und nahmen ihr Gespräch wieder auf. Immer mehr kam eine Vertrautheit auf, als ob sie sich schon länger kennen würden. Als der Ober kam und nach ihren Wünschen fragte, schauten sie verwundert hoch. Sie waren so vertieft und hatten noch nicht einmal in die Karte geschaut. Auf Empfehlung nahmen beide den Fisch und einen trockenen Weißwein.

„Wie gefällt es dir hier in der Stadt?“, fragt André. Er war, ohne es zu merken, in das DU übergegangen.

„Es ist wunderschön hier. Ich habe das Gefühl, ich bin schon ewig hier und nicht erst eine Wochen. Ich habe so viel nette und liebenswerte Menschen kennengelernt.“

„Ich hoffe, da gehöre ich auch dazu.“, scherzte André und seine Augen blitzen schelmisch.

Christina lachte. Das Gespräch wurde vom Ober unterbrochen, der die Getränke brachte. Außer den Wein, stellte er noch eine große Karaffe mit Wasser auf den Tisch. Christina erzählte von ihrer Familie und ihrer Arbeit in Hamburg. Den Grund, warum sie später nach Frankfurt ging, ließ sie aus. Der spielte in ihrem Leben keine Rolle mehr. Zwischendurch wurde ihnen das Essen gebracht und auch während des Essens war ihre Aufmerksamkeit immer bei ihrem gegenüber. Was um sie herum passierte, wurde von ihnen nicht registriert.

André sprach von seiner kleinen Tochter Maéli und Christina hörte lächelnd zu. Aus seinen Worten merkte sie, wie André die Kleine liebte. Sie fand es bewundernswert, wie er und die Mutter seiner Tochter einen Weg gefunden hatten, miteinander umzugehen. Die Zeit verging wie im Flug. Die Sonne war untergegangen, die Laternen rings um den Platz tauchten die Tische in ein wundersames Licht. Die Gespräche von den Nachbartischen drangen nur als Gemurmel zu ihnen rüber. Die Kerze auf dem Tisch bewegte sich leicht im lauen Abendwind und André und Christina sahen sich nur schemenhaft. Der Ober brachte zum Abschluss noch einen Kaffee. Andrés Hand tastete sich über den Tisch und umfasste vorsichtig Christinas Finger ohne dabei den Blick von ihr zu wenden.

„Sehen wir uns wieder?“, fragte er.

„Ja“, antwortete sie. „Aber du hast doch sicherlich im Restaurant viel zu tun. Die Hauptsaison fängt jetzt erst an.“

Christinas Hand lag zart in seiner und er drückte sie sanft.

„Mach dir da mal keine Gedanken“, sagte er lächelnd.

Auf dem Rückweg hatte er ganz selbstverständlich seinen Arm um ihre Schultern gelegt. Als sie vor dem Haus ankamen, gingen bei Danielle und Eric gerade die Lichter aus. André begleitete Christina noch bis zur Tür. Er hatte ihre beiden Hände gefasst und keiner von beiden wollte den ersten Schritt machen und gehen. Die Luft hatte sich ein wenig abgekühlt und nach der Hitze des Tages fröstelte es Christina etwas. Oder war es die Aufregung? André nahm sie in den Arm und sie ließ es geschehen. Christina nahm den Kopf von seiner Schulter und schaute ihn an. Er beugte seinen Kopf herunter, bis seine Lippen ihre berührten.

Wie lange der Kuss dauerte, konnte Christina im Nachhinein nicht mehr sagen. Sie hätte noch stundenlang in seinen Armen liegen können. Aber irgendwann haben Sie sich mit einer Verabredung für den nächsten Tag dann doch getrennt. Sie schaute André hinterher, als er den Weg zur Straße ging. Irgendwo bellte ein Hund.

Nun saß sie also hier auf dem Sofa und mochte gar nicht ins Bett gehen. Sie konnte sowieso nicht schlafen. Christina machte es sich gemütlich und nach einem kurzen Augenblick war sie eingeschlafen.

***

Danielle hing vor dem Haus Wäsche auf, als Christina um die Ecke kam.

„Guten Morgen“, rief sie ihr zu. Christina ging zu ihr.

„Na, du strahlst ja so“, Danielle konnte es nicht lassen. Sie musste Christina einfach necken. Neugierig war sie ja nun doch.

„Du hattest einen netten Abend gestern, was?“

„Ja, das kann man so sagen.“ Christina lächelte, ließ sich aber sonst nichts entlocken. Sie griff in den Wäschekorb und reichte Danielle die Wäsche zu.

„Christina, schau doch bitte mal unauffällig zur Straße“, sagte Danielle leise. „Hast du das Auto schon mal gesehen?“ Sie tat als ob nichts wäre und hing weiter die Wäsche auf.

„Was? Warum?“

„Schau bitte einmal hin! Bitte! Kennst du das Auto?“

Mit zusammengezogenen Augenbrauen und so natürlich wie möglich drehte sich Christina um. Sie sah das schwarze Auto am Straßenrand stehen. Es stand nicht direkt vor dem Haus und ob jemand drinnen saß, das konnte sie durch die getönten Scheiben nicht erkennen.

„Was ist mit dem Auto?“, fragte sie.

„Es steht nicht zum ersten Mal hier und es steigt auch nie jemand aus.“

„Bist du schon mal hingegangen?“

„Nein, noch nicht.“

„Na, dann wollen wir doch mal sehen“, sagte Christina energisch und ging durch den Garten.

„Christina, nicht! Bleib hier!“, rief Danielle ihr hinterher.

Ohne sich beirren zu lassen, ging Christina weiter. Als sie durch das Gartentor auf das Auto zuging, wurde der Motor angelassen und der Wagen fuhr fort.

„Hallo“, rief jemand hinter ihr. Sie drehte sich um und sah André, der auf sie zukam.

„Was ist los? Du schaust so?“ Er gab ihr einen Kuss.

Christina erzählte ihm kurz, was sie von Danielle gehört hatte und dass das Auto weggefahren war, als sie darauf zuging.

„Alles sehr merkwürdig“, sagte sie.

„Ah, spielst du ein wenig Chef de Police?“, scherzte André lachend.

„Ach du…“ reagierte sie mit gespielter Entrüstung.

Beide gingen zurück zum Haus, wo Danielle auf sie wartete.

„Siehst du, das bringt alles nichts“, sagte sie. „Ich weiß nicht, was das soll.“

„Wenn das Auto wieder mal da steht, dann rufst du einfach die Polizei. Dann wird man ja sehen“, erwiderte André. „Ich wollte Christine den Pont-du- Gard zeigen. Können wir dich allein lassen?“

„Natürlich. Macht Ihr Euch einen schönen Tag. Ich komme schon klar.“

„Ich hole noch schnell meine Tasche.“ Christina war nach ein paar Minuten zurück. Sie hatte außerdem die Sommersandalen gegen feste Schuhe eingetauscht. Hand in Hand ging sie mit André zum Auto.

Danielle schaute noch einmal zu dem Platz, an dem vor kurzem noch das schwarze Auto gestanden hatte, schüttelte unmerklich den Kopf und ging ins Haus.

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5 Antworten

  1. Liebe Gudrun,
    so romantisch, wunderbar.
    Ich sage ja immer, Katzen gehören einfach auf ein Bild. Die Mieze auf dem zweiten Bild trägt wohl die Verantwortung für das Städtchen.
    Nicht wegschmilzen in den nächsten Tagen.
    Liebe Grüße
    Nicole

    1. Liebe Nicole,
      ich liebe Katzen. Wir hatten selbst mal 14 Jahre einen Kater. Mein Mann schüttelt schon immer den Kopf, wenn ich irgendwo wieder eine Katze fotografiere. 🙂

      Lass es dir gut gehen
      Gudrun

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