Sommer am Pont-du-Gard – Kapitel 11

Loulou hatte Christina ihren Schlüssel für das Hotel gegeben. Nach dem Frühstück mit André war sie schnell nach Hause gegangen, um mit ihr noch ein paar Sachen zu besprechen, bevor das Mädchen in die Schule musste. Loulou gab ihr einige Hinweise, wo sie im Hotel was fand, um das Zimmer für die Gäste vorzubereiten. Nach der Schule wollte sie Christina helfen.

Christina hatte das Zimmer, das sie vor ein paar Tagen noch selbst bewohnt hatte, für die Gäste vorgesehen. Als Erstes hatte sie die große Flügeltür zum Garten geöffnet. Das Bett war frisch bezogen und im Bad hingen saubere Handtücher. Soweit war alles in Ordnung. Sie würde nur noch etwas Staubwischen müssen.

Sie ging in den Frühstücksraum und machte die Fenster auf, um frische Luft reinzulassen. Immerhin waren die Räume jetzt schon ein paar Tage unbenutzt. In der Küche schaute sie nach den Vorräten und stellte fest, dass sie unbedingt einkaufen musste. Sie öffnete die Schranktüren und orientierte sich, wo was stand.

Von Weitem hörte sie plötzlich ein Klingeln. Es hörte sich an wie das Telefon. Christina ging dem Klingeln nach. Als sie in der Halle stand, hörte sie das Telefon an der Rezeption. Tatsächlich. Wer wollte da was? Sie nahm zögerlich den Hörer ab und meldete sich. Zuerst dachte sie, sie hätte sich verhört. Aber nein! Soweit reichte ihr Französisch und es wurde von Tag zu Tag besser. Es war eine Buchungsanfrage. Christina nahm sich einen Zettel und notierte den Zeitraum, die Personenanzahl und den Zimmerwunsch. Jetzt war ihre Hilfe doch nicht mit drei Tagen abgetan. Diese Gäste kamen übermorgen und sie blieben vier Tage. Also hieß es, ein zweites Zimmer herzurichten.

Die Tür ging auf und der Postbote brachte die Post. Er legte die Briefe auf den Tresen, hob freundlich seinen Zeigefinger an seine Mütze zum Gruß und ging wieder. Richtig, die Post. In den letzten Tagen war sicher noch mehr gekommen. Draußen am Eingang fand Christina einen Postkasten. Der dazugehörige Schlüssel war am Schlüsselbund. Sie nahm die Post aus dem Kasten und legte sie zu den anderen Briefen. Jetzt noch schnell ihre Tasche aus dem kleinen Büro hinter der Rezeption holen und dann wollte sie die Einkäufe erledigen.

Christina hatte bei ihrem Besuch im Office de Tourisme auf dem Boulevard Gambetta einen kleinen Supermarkt gesehen. Sie wusste nicht, wo Madame Legrand normalerweise ihren Einkauf machte. Auf dem Fußweg vor dem Geschäft waren Obst- und Gemüsekisten aufgereiht. Sie legte verschiedene Obstsorten in den Einkaufskorb. Morgen früh wollte sie einen frischen Obstsalat für die Gäste zubereiten.

Christina merkte, dass sie von dem Mann im weißen Kittel, der in der Eingangstür stand, beobachtet wurde. Ein kleiner untersetzter Mann mit schütterem Haar und einer Nickelbrille. Er kaute auf einem Streichholz herum, die Hände in den Kitteltaschen. Ab und zu grüßte er vorübergehende Passanten und hielt einen kurzen Schwatz mit ihnen. Sie schaute sich das Gemüse an und nahm zwei Gurken und einige Tomaten.

„Bonjour Madame“, grüßte er und neigte leicht den Kopf. „Wenn ich Ihnen behilflich sein kann, lassen Sie es mich wissen.“

„Bonjour Monsieur“, sagte sie freundlich und ging an ihm vorbei in den Laden. Sie versuchte sich zu orientieren, damit sie auch ja nichts vergaß. Als sie zur Wurst- und Käsetheke kam, stand er dort. Christina suchte etwas Käse und Schinken aus. Während Monsieur alles einpackte, fragte er:

„Ich habe Sie hier noch nie gesehen, Madame. Sind Sie zu Besuch hier?“

Aha, dachte Christina. Habe ich es mir doch gedacht. Seine Augen hatten sie die ganze Zeit neugierig angeschaut und er hatte sich wohl seine Gedanken gemacht, wer sie war und woher sie kam.

„Eigentlich schon“, antwortete sie. „Aber eigentlich auch nicht.“

„Wie darf ich das verstehen?“ Er schaute sie neugierig mit großen Augen über den Rand seiner Brille an und reichte ihr den eingepackten Schinken und den Käse über die Ladentheke.

„Ich bin in Urlaub hier, helfe aber gleichzeitig im Hotel ‚Le pond d’or‘ aus.“

„Ah ja, ich habe gehört, dass Madame Legrand im Krankenhaus ist. Wie geht es ihr?“

„Es geht ihr schon wieder besser. Sie wird bestimmt bald wieder aus dem Krankenhaus entlassen.“

Christina wollte nicht zu viel erzählen. Immerhin kannte sie den Mann nicht oder es war Madame Legrand gar nicht recht.

„Ach die arme Binette. Grüßen Sie sie, wenn Sie sie sehen. Von Monsieur Fournier. Aber sagen Sie einfach von Monsieur Fou. Dann weiß sie schon Bescheid.“

Er begleitete Christina zur Kasse. Dort stellte sie fest, dass die Einkäufe doch mehr waren als gedacht. Wie sollte sie das alles mit ihrer Tasche ins Hotel bringen. Monsieur Fournier bemerkte ihr zögern.

„Madame, möchten Sie die Ware geliefert haben? Dann müssen Sie jetzt nicht so schwer tragen?“

„Das würden Sie tatsächlich tun, Monsieur Fournier?“

„Aber selbstverständlich, Madame. Und für Sie, Monsieur Fou, bitte.“

Christina fühlte sich direkt etwas geschmeichelt. Dabei kannte sie Monsieur noch nicht mal 10 Minuten. Sie bedankte sich und fragte ihn, ob er ihr sagen könnte, wo sie einen Blumenladen findet würde. Er ging mit ihr raus vor die Tür und zeigte rechts den Boulevard hinauf . Stimmt, sie erinnerte sich, dass sie dort schon vorbeigegangen war. Es wurde dann ein großer Strauß Gladiolen für die Rezeption und den Löwenmaul würde sie auf die Tische im Frühstücksraum stellen, zusammen mit dem Schleierkraut.

***

Christina kam gerade aus dem Zimmer, das sie für die anderen Gäste hergerichtet hatte, da kam Loulou aus der Schule.

„Salut!“ Mit Schwung stellte sie ihre Tasche hinter die Rezeption. „Rate, was ich im Vokabeltest habe.“ Loulou schaute Christina erwartungsvoll mit großen Augen an. „Na, komm! Rate!“

„Eine Drei“, sagte sie zögernd.

„Nein! Eine Zwei!“ Das Mädchen strahlte und hüpfte vor Freude auf der Stelle wie ein kleines Kind.

„Gratuliere.“ Christina freute sich. So wie es aussah, war Loulou auf einem guten Weg. Sie hatte sich die letzten zwei Tage hingesetzt und wirklich viel gelernt. Jetzt, wo sie wusste, dass ihre Großmutter auf dem Weg der Besserung war, hatte sie den Kopf wieder frei. Vielleicht schaffte sie die Versetzung doch noch.

„Du hast Blumen hierher gestellt.“ Loulou schaute auf den Gladiolenstrauß, der auf dem kleinen Tisch vor dem Fenster stand.

„Gefällt es dir nicht.“

„Doch sehr. Wir hatten hier lange keine Blumen stehen.“

„Na, dann schau doch mal in den Frühstücksraum.“ Christina ging mit Loulou den kleinen Gang lang und öffnete die Doppeltür. „Wie findest du es?“

Auf den Tischen lagen frische weiße Tischtücher und alles war mit dem hübschen Geschirr mit blassblauen Blüten eingedeckt, welches Christina in dem großen Schrank gesehen hatte. Dazu passte der rosafarbene Löwenmaul in den kleinen Vasen.

„Super schön. Danke.“ Loulou nahm Christina in den Arm.

„Wofür das denn?“

„Dafür, dass du da bist und dass du das für mich und Grandmer machst. Du hättest das nicht tun müssen. Solange kennen wir uns noch nicht und immerhin wolltest du Urlaub machen und jetzt arbeitest du hier.“

„Das empfinde ich nicht als Arbeit. Es macht mir sogar Spaß.“ Bevor sie sentimental wurden, hörten sie ein lautes „Hallo“. Beide drehten sich um und sahen Monsieur Fou in der Halle stehen. Ohne seinen weißen Kittel hätte Christina ihn beinahe nicht erkannt.

„Hallo, die Damen, ich bringe die Einkäufe. Macht mir einer die Hintertür zur Küche auf.“

„Wird sofort erledigt“, rief Loulou und ging Richtung Küche.

Nachdem die Einkäufe verstaut waren, schauten Christina und Loulou die Post durch. Was Werbung war, wanderte gleich in den Papierkorb. Alle Briefe, die wichtig aussahen, wollten sie am nächsten Tag mit ins Krankenhaus nehmen. Madame Legrand musste wenigstens einen Blick draufwerfen. Nicht das etwas Dringendes liegenblieb und auf eine Entscheidung wartete.

Irgendwo klingelte ein Handy. „Das ist meins.“ Christina schaute sich suchend um.

„Wo habe ich es hingelegt?“
Es lag neben dem Telefon an der Rezeption.

„Ja, hallo?“

„Hallo, meine Liebe. Wie geht es dir?“

„Mama? Nanu, was gibts denn?“

„Was es gibt? Du hast dich nicht gemeldet, da darf ich doch mal anrufen und fragen, wie es dir geht.“

„Mir geht es gut, danke.“

„Na, davon kann ich mich ja bald selbst überzeugen. Ich bin in dreißig Minuten da.“

„Was? Wie? Warum?“ Christina war verwirrt. Ein verzweifelter Blick ging an die Decke. Was wollte ihre Mutter hier?

„Keine Sorge, du bist mich in ein paar Tagen wieder los. Ich bin nur auf der Durchreise in Richtung Marseille. Da werde ich mich mit einem Maler treffen. Seine Bilder werde ich ab Herbst in der Galerie ausstellen.“

Auch das noch, dachte Christina. Da muss ich jetzt durch. Loulou warf ihr neugierige Blicke zu.

„Treffen wir uns bei dir? Dann musst du mir bitte nur deine Adresse geben.“

„Nein, Mama. Ich bin auch gar nicht zu Hause. Bitte komme ins Hotel ‚Le pond d’or‘. Da triffst du mich an.“

„Ich dachte, du hast dir eine kleine Wohnung genommen?“, fragte ihre Mutter.

„Ja, habe ich auch. Das erkläre ich dir später.“ Christina gab ihrer Mutter die Adresse und beendete das Gespräch.

„Puh, auch das noch. Meine Mutter kommt.“

„Das kann doch so schlimm nicht sein“, sagte Loulou.

„Na, wir werden sehen. Aber vor allen Dingen wissen wir beide nicht, was in den nächsten Tagen hier auf uns zukommt. Aber zum Glück bleibt sie nicht lange. Sie ist nur auf der Durchreise.“

„Na also“, sagte Loulou fröhlich und schwang sich auf den Schreibtisch. „Und was machen wir jetzt?“

„Nicht viel. Schau mal.“ Christina macht eine leichte Kopfbewegung in Richtung Tür, die in dem Moment aufging.

„Bonjour Monsieur, Madame.“

Loulou hüpfte vom Schreibtisch.

Facebook
Twitter
LinkedIn
Pinterest

4 Antworten

  1. Hallo Gudrun,
    habe gerade die beiden neuesten Kapitel gelesen. Danke für’s Kopfkino in der Mittagspause …
    Übrigens eine herrliche Verwicklung, die sich jeder wünscht: frisch verliebt und dann kommt die Mama:)
    Freue mich auf die Fortsetzung.
    LG Nicole

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert