Sommer am Pont du Gard – Kapitel 15

Christina hatte kein Auge zugetan. Sie schaute wieder auf die Uhr. Es war fünf Uhr. Es reicht, dachte sie und schwang ihre Beine von der Schlafcouch. Kurz nach sechs wollte sie im Hotel sein, jetzt musste sie unbedingt zu André. Egal, wenn sie ihn aus dem Bett klingelte. Sie machte sich schnell fertig, nahm ihren Schlüssel und rannte aus dem Haus.

Wer sie jetzt so sehen würde, der würde sie für völlig verrückt halten. Wer rennt schon morgens um diese Uhrzeit wie eine Irre durch die Straßen. Es waren nur ganz wenig Menschen unterwegs. Auf dem Boulevard Gambetta fuhr der Wagen der Straßenreinigung bevor die Touristen die Straßen bevölkerten. Jetzt war die beste Möglichkeit, da die Straßenränder noch nicht von den Autos zugeparkt waren. Ein Auto stand vor der Bäckerei und der Fahrer kam mit einem ganzen Korb voll Baguette heraus. Monsieur Fou stellte die Obst- und Gemüsekisten vor sein Geschäft. Er winkte ihr von weitem zu. Die Stadt erwachte langsam.

Völlig außer Atem kam Christina vor Andrés Haustür an, die im selben Moment geöffnet wurde. Eine alte Dame kam mit ihrem Hund raus. Das war sicher die erste Gassirunde für ihren Vierbeiner. Christina schlüpfte schnell durch die offene Tür, bevor sie wieder in Schloss fiel. Sie rannte die Treppe hinauf und damit sie es sich nicht noch einmal anders überlegen konnte, drückte sie sofort auf die Klingel. Für ein Zurück war jetzt zu spät.

Es dauerte ihr zu lange und sie wollte gerade wieder auf den Klingelknopf drücken, als sie von drinnen Geräusche hörte. Sie zögerte und wartete. Schritte kamen Richtung Tür und dann wurde sie geöffnet. André stand da mit zerzausten Haaren und in Boxer-Shorts. Er sah müde aus.

Was machst du hier?“, fragte er verwundert. „Um diese Uhrzeit?“

Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugemacht. Ich musste dich einfach sehen.“ Sie war immer noch etwas außer Atem und schaute ihn schuldbewusst an. Da standen sie sich nun gegenüber und keiner von beiden sagte etwas. André war der, der den Anfang machte.

Komm erst mal rein.“ Er machte einen Schritt zur Seite, damit Christina eintreten konnte. Sie stand etwas verloren und hilflos mit herabhängenden Armen auf dem Flur und wusste immer noch nichts zu sagen. Sie mochte sich auch nicht rühren, um ja nichts Falsches zu tun oder zu sagen.

Möchtest du einen Kaffee?“, fragte André. Christina fand, dass seine Stimme irgendwie emotionslos klang. Oder täuschte sie sich?

Gerne.“, antwortete sie. Christine folgte André in die Küche. Die Balkontür stand auf und die ersten Geräusche des Tages drangen nach oben. Sie ging raus auf den Balkon. Da stand sie nun und André hatte immer noch nichts weiter gesagt. Sie hörte ihn drinnen mit Geschirr klappern. Kurze Zeit darauf kam er mit zwei Kaffeebechern nach draußen. Einen gab er ihr, mit dem anderen setzte er sich auf einen Stuhl.

Ich habe dich verletzt und das tut mir unsagbar leid.“

André trank schweigend seinen Kaffee. Christine hatte noch keinen Schluck genommen.

Ich habe unüberlegt und dumm gehandelt.“

Sie, die coole Lektorin, die immer wusste, wie sie ihre Schriftsteller nehmen musste, der nie die Worte fehlten, fühlte sich hilflos und entmutigt. Das Beste wäre, sie würde gehen. Christina stellte ihren Kaffeebecher auf den Tisch.

Ich glaube, es ist besser ich gehe jetzt.“, sagte sie leise, drehte sich um und machte einen Schritt auf die Tür zu. In dem Moment spürte sie Andrés Hand, die sie festhielt.

Komm mal her.“, sagte er leise. Er zog Christina auf seinen Schoß und nahm sie fest in die Arme.

Tu das bitte nie wieder!“, sagte André.

Sie legte ihre Arme um seinen Hals und drückte ihren Kopf in seine Halsbeuge.

Ich verspreche es.“

Der Duft seines Aftershaves löste eine Welle von Gefühlen in ihr aus und ein riesiger Felsbrocken fiel ihr vom Herzen. Endlich.

Auch André atmete erleichtert auf. Die letzte Nacht hatte nicht vorübergehen wollen. Er hatte sich so nach Christina gesehnt und wollte sie nicht verlieren. Im Geheimen hatte er ihr schon verziehen. Wenn sie nicht heute Morgen vor der Tür gestanden hätte, dann wäre er spätestens nach dem Frühstück zu ihr ins Hotel gegangen. Ihre Mutter hin oder her.

Er löste sich vorsichtig aus ihrer Umarmung, nahm ihr Gesicht in beide Hände und schaute ihr in die Augen.

Hey, schön, dass du da bist. Ich habe ich vermisst.“, sagte er leise. Christina standen Tränen in den Augen. „Ich dich auch.“ Dann näherten sich ihre beiden Gesichter, bis sich ihre Lippen zu einem langen Kuss fanden.

Hey, André!“ Christina und André lösten sich aus ihrer Umarmung. Beide schauten sich um.

Hey!“, kam es wieder. André schaute nach unten und sah Gabriel, seinen Koch, vor dem Restaurant stehen. Er winkte nach oben.

Denkst du daran, dass du heute eine Stunde früher da sein wolltest? Ich brauche die Einkäufe. Sonst werde ich nicht fertig.“, rief er nach oben.

Alles klar, ich bin pünktlich.“ André winkte ihm zu. Er schaute Christina an und beide fingen an zu lachen.

Dein Kaffee ist bestimmt schon kalt.“, sage er. „Egal.“, antwortete sie.

Ich möchte gern, dass wir heute Abend zusammen mit Maeli essen. Ist das ok für dich?“

Was, tatsächlich?“

Ist dir das noch zu früh? Möchtest du es nicht?“

Doch, selbstverständlich.“, antwortete Christina schnell.

Ich möchte nicht, dass Maeli durch Zufall von uns beiden erfährt. Das Abendessen soll ganz unverfänglich sein, nur dass sie dich mal kennenlernt.“

Ich freue mich.“ Sie beugte sich zu ihm und gab ihm noch einen Kuss. „Wie spät ist es eigentlich?“

André schaute auf die Uhr. „Kurz nach sechs.“

Oh, dann muss ich los. Sonst werde ich nicht fertig.“ Sie trank einen Schluck von dem kalten Kaffee und verzog ihr Gesicht. André musste lachen. „Wann soll ich da sein heute Abend?“, fragte sie auf dem Weg zur Wohnungstür. „Gegen 19 Uhr.“

Ich bin pünktlich.“ Sie gab ihm einen Kuss und lief die Treppe hinunter. Von unten schaute sie noch einmal hinauf und winkte ihm zu. Draußen auf der Straße hatte der Tag begonnen. Uzés wurde langsam munter. Jetzt musste sie sich aber beeilen, sonst schaffte sie die Vorbereitungen für das Frühstück nicht. Als sie an dem Zeitschriftenladen vorbeikam, nahm sie noch schnell ein paar Tageszeitungen für die Gäste mit.

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