Brustkrebs – Meine Geschichte Teil 6

Von Anfang November bis Mitte März Chemotherapie. Eine nicht einfache Zeit ist zu Ende. Das hinterlässt Spuren, innerlich und äußerlich. Vom ersten Tag an nach der Chemo warte ich darauf, dass ich mich wieder körperlich besser fühle. Aber alles braucht seine Zeit. Geduld heißt das Zauberwort. Das fällt mir nicht leicht.

Zwei Tage nach der letzten Chemo habe ich ein Vorgespräch für die anstehende OP. So kaputt wie ich mich fühle und dann eine Operation? Ich kann es mir noch nicht vorstellen und trotzdem sehne ich den Tag herbei. Dann ist nämlich Schritt 2 des Behandlungsplans abgeschlossen.

Vor dem Krankenhaus steht ein großes weißes Zelt. Dort muss ich mich erst anmelden und werde nach Husten, Schnupfen und Corona-Kontakten gefragt. Dann bekomme ich ein paar ausgefüllte Zettel in die Hand gedrückt. Meine Passierscheine sozusagen. Jetzt darf ich auf das Krankenhausgelände. So einfach ist das nicht mehr in Corona-Zeiten.

Ich melde mich in der Anmeldung des Brustzentrums und gehe in den Wartebereich. Ich bin allein. Die Termine werden gut getaktet. Ich musste noch nie lange warten. Eine Frau kommt aus dem Besprechungszimmer und setzt sich mir gegenüber. Sie hat Tränen in den Augen. Vor 6 Monaten ging es mir genauso.

Als Nächstes bin ich dran. Der Arzt, den ich schon von den anderen Untersuchungen her kenne, macht noch einmal einen Ultraschall und fragt mich auf einmal, wie risikofreudig ich wäre. Er könnte mich auch brusterhaltend operieren. Ich glaube, wer mich in dem Moment angeschaut hätte, der hätte zwei riesengroße Fragezeichen in meinen Augen gesehen. WIE BITTE? Da erzählen mir vier Ärzte in den letzten 6 Monaten, dass nicht brusterhaltend operiert werden kann. Auch dieser Arzt.

Meine erste Schockreaktion bei der Diagnose war: KEIN BRUSTAUFBAU. BRAUCH ICH NICHT. WILL ICH NICHT.

Danach habe ich mich mit dem Thema Brustaufbau wochenlang gar nicht beschäftigt. Dieses Thema hatte ich überhaupt nicht in meinem Kopf, bis ich bei der Chemo mit anderen Frauen darüber gesprochen habe. Nach vielem hin und her, für und wider, pro und contra und Gesprächen mit meinem Mann und ganz vielen Informationen, die ich mir überall hergeholt habe, entschied ich mich dann doch für einen Brustaufbau. Und jetzt das. Jetzt werde ich gefragt, wie risikofreudig ich wäre. Meinen Mann kann ich in dem Moment auch nicht um Rat fragen, denn der durfte wegen Corona nicht mit zur Besprechung. Zuerst weiß ich gar nicht, was ich dazu sagen soll. Aber dann frage ich noch einmal genauer nach. Das Ende davon war, einmal tief Luft holen und dann: NEIN! Wenn in der Brust in zwei verschiedenen Quadranten je ein Tumor mit entsprechendem Gewebe entfernt werden muss, dann wird die Brust auch nicht mehr wie vorher aussehen. Sie sähe bestimmt deformiert aus. Auch eine Brustwarze wird in meinem Fall nicht mehr da sein. Natürlich kann man dies durch eine plastische OP wieder ausgleichen. Eine Gewähr, dass ich nie wieder Brustkrebs an der operierten Brust bekomme, gibt es so oder so nicht. Wenn es um Krebs geht, da bin ich nicht risikofreudig. Ich bleibe bei meinem NEIN. Der Arzt sagt, dass ich mir das noch überlegen kann. Ich habe überlegt, über viele Wochen und jetzt kommt meine Entscheidung doch wieder ins Wanken.

Die nächsten Tage geht es zu Hause immer wieder um dieses Thema. Mein Mann bestärkt mich darin, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.


Eine Woche später bin ich noch einmal in der onkologischen Praxis zum Abschlussgespräch. Ich erzähle meiner Ärztin, was mir bei der Voruntersuchung von dem Arzt gesagt wurde. Sie ist etwas verwundert, da das Leitlinienprogramm bei Brustkrebs etwas anderes vorsieht. Auch sie bestärkt mich in meiner Entscheidung. Ich atme auf.

Aufnahmeformalitäten

Es ist der 06.04.2020. Ein Tag, der für mich wieder alles durcheinander bringt und schwerer macht. Zu diesem Zeitpunkt weiß ich das noch nicht. In der Zwischenzeit hat Corona Deutschland und die ganze Welt fest im Griff. Einige Menschen haben mich in letzter Zeit gefragt, ob meine OP überhaupt stattfindet. Der ganze Krankenhausbetrieb wurde umgestellt. Alle Operationen, die verschoben werden können und nicht lebensnotwendig sind, finden nicht statt.

Meine Operation ist für mich lebensnotwendig.

Mein Onkologe hatte mich schon Tage vorher beruhigt. Wenn ein Behandlungsplan durch die Tumorkonferenz besteht mit Chemo, Operation und Bestrahlungen, dann wird auch alles planmäßig stattfinden.

Ich bin am 06.04. pünktlich um 8:00 Uhr im Krankenhaus und melde mich in der Patientenaufnahme. Da geht es um die ganzen Aufnahmeformalitäten und um Datenschutzerklärungen, Entlassmanagement, wer soll eine Kopie des Entlassungsbriefes bekommen, gibt es eine Patientenverfügung, soll mich der Krankenhausseelsorger besuchen usw. usw. Danach habe ich noch ein Gespräch mit der Oberärztin im Brustzentrum. Auch sie spreche ich auf den Vorschlag des Arztes an, mich doch brusterhaltend zu operieren. Niemand kann mir diese Entscheidung abnehmen. Sie findet meine richtig. Ich erfahre noch, wo ich mich am nächsten Tag einfinden soll und dann bin ich im Brustzentrum auch schon fertig. Von da aus geht es zum Narkosearzt. Dann bin ich mit allem durch. Kurz und schmerzlos. Wenn ich das gewusst hätte, dann hätte mein Mann warten können.

Ein Telefonanruf und mein Mann ist nach 30 Minuten auf dem Parkplatz des Krankenhauses. Er kommt mir entgegen, da er am Automaten den Parkschein entwerten muss. Wir stehen am Rand um ein Auto an uns vorbeifahren zu lassen. Ich mache automatisch einen Schritt nach hinten und trete auf ein Bord einer Rasenfläche hinter mir, verliere dabei das Gleichgewicht und falle nach hinten auf den Rücken. Das Geräusch, das ich beim Aufprall höre…. nein, bitte nicht. Nachdem ich mich ganz kurz gesammelt habe, kann ich aufstehen. Die Schmerzen sind mehr als nur stark. Ich versuche mir einzureden, dass Prellungen meistens mehr wehtun als Brüche. So kann ich unmöglich morgen zur OP gehen. Das muss abgeklärt werden. Die Dame an der Information des Krankenhauses verweist auf das Unfallkrankenhaus. Hier können sie nichts machen. Mein Mann und ich machen uns also auf den Weg zum Unfallkrankenhaus. Die vier Stunden, die ich dort zugebracht habe, möchte ich hier nicht haarklein wiedergeben. Das würde den Rahmen sprengen. Das Ergebnis war eine inkomplette Berstungsfraktur des 1. Lendenwirbels. SUPER. Es soll eine konservative Therapie erfolgen, d. h. der Wirbel wächst von alleine wieder zusammen. Nach Rücksprache mit der Oberärztin im Brustzentrum soll die Brust-OP am nächsten Tag stattfinden. Das ist mir natürlich ganz wichtig, damit mein Therapieplan eingehalten werden kann.

Die nächsten Stunden bis zur Operation am darauf folgenden Morgen sind die Hölle. Ich getraue mir nicht, irgendwelche Schmerzmittel zu nehmen. Wer weiß, ob das vor der OP ok ist. Ich frage mich, wie das die nächsten Tage und Wochen gehen soll.

Anstatt einer Reisetasche nehme ich jetzt einen Trolly mit ins Krankenhaus. Mit dem Rücken eine vollgepackte Tasche tragen geht gar nicht. Auf der Station wussten schon alle bescheid, dass ich zu der OP mit einem lädierten Rücken komme. In meinem Zimmer begrüßt mich eine nette Mitpatientin, die die Operation schon hinter sich hat. Eine Schwester erledigt mit mir noch einige Formalitäten und eine Schmerztablette darf ich dann auch nehmen. Ich ziehe das schicke Krankenhausnachthemd an (Pret a porter ist etwas anderes 😉 ) und dann werde ich tatsächlich pünktlich abgeholt. Um 9:00 Uhr soll ich drankommen. Ich muss sagen, jetzt und die letzten Stunden hatte ich gar keine Angst vor dem Eingriff. Die Schmerzen in meinem Rücken haben mich von der Tatsache, dass ich heute meine linke Brust verlieren werde, tatsächlich abgelenkt.

Im Aufwachraum werde ich kurz „zwischen geparkt“. Eine nette Schwester erklärt mir, was in den nächsten Minuten auf mich zukommt. Dann werde ich in den OP-Saal gefahren. Das Umlagern auf den OP-Tisch ist trotz Schmerzmittel für meinen Rücken nicht ohne.

An beiden Seiten habe ich OP-Schwestern und eine Narkoseärztin stehen. Da wird mein linker Arm auf einer Ablage passend für die OP festgeschnallt. Ich werde verkabelt und an der rechten Seite wird ein Zugang gelegt. Soll er jedenfalls. Auf einmal ein kurzer Aufschrei. Ich kann nichts sehen, so wie ich liege. Die Stimmen sind nun etwas hektisch. War es die Ärztin oder eine Schwester, die mir den Zugang legen wollte? Ich verfolge das Gespräch zwischen den Frauen. Man ist sich nicht sicher, ob eine Vene oder eine Arterie auf meinem Handrücken angestochen wurde. Eine OP-Schwester nimmt eine Probe und geht aus dem Saal. Die Narkoseärztin beruhigt mich und sagt, dass das Blut in einem Schnelltest überprüft wird und es gleich weitergeht. Kurz darauf kommt die Schwester zurück. Alles in Ordnung, es ist eine Vene. Der Zugang kann also gelegt werden.

Dann wird die Narkose eingeleitet. Ich höre noch eine Frauenstimme, die sagt: „Wir passen gut auf sie auf.“ Mein letzter Gedanke in dem Moment? Keiner, denn ich bin schon im Reich der Träume.

Nach dem Aufwachen aus der Narkose beginnt mein Leben, in dem ich akzeptieren muss, nur noch eine Brust zu haben.


Gudrun

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4 Antworten

  1. So viel Pech auf einmal, wirklich gemein…Aber- Du hast Dich dem Kampf gestellt. Jetzt kann es nur noch aufwärts gehen. Und die Entscheidung gegen den Brusterhalt war goldrichtig. Du bist auf der sicheren Seite und eine OP mit 2 Quadrantenbefall ist optisch nicht immer gut. Ich drück Dich! ( virtuell ist erlaubt 😉
    Alles wird gut.

    1. Liebe Susanne,
      ja, ich bin kein Mensch, der in Selbstmitleid badet. Ich gehe alles an. So auch meine Rückenverletzung. Sie ist nun fast verheilt und alles andere schaffe ich auch.
      Liebe Grüße
      Gudrun

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